Liebe Leserinnen und liebe Leser,
heute geht es mal um mein soziales Engagement.
Für viele Menschen ist soziales Engagement völlig unpopulär.
Ich denke, es ist heute wichtiger denn je, denn das Leben lädt uns ein Herzensentscheidungen für sich und für andere zu treffen, egal ob für Kinder, Flüchtlinge oder alte Menschen.
Lesen Sie hier meine Rede in der St. Petri Kirche zu Hamburg
im Dezember 2016.
Kennen Sie das?
Plötzlich haben Sie die tiefe Einsicht,
dass es Ihnen und anderen gut tut, bestimmte Dinge nicht zu tun.
Ich mag mich z.B. nicht mehr mit Menschen darüber unterhalten, wie schlecht die Welt ist. Das raubt mir Energie, macht schlechte Laune und bringt niemanden weiter.
Ich mag mich auch nicht mehr über die große Weltpolitik unterhalten und darüber was nicht funktioniert und was andere besser machen sollten.
Ich kann und will mir das nicht leisten, meine Zeit ist zu kostbar.
Ich frage mich lieber, was ich tun kann, um zu einer Welt beizutragen,
die besser funktioniert und dann nehme ich das Ruder in der Hand.
Das gibt unglaublich viel Energie, Kraft und macht gleich bessere Laune.
Ich möchte Sie ermutigen
Wenn Sie etwas verändern möchten, egal ob für Sie selbst oder für andere,
dann treffen Sie eine Entscheidung und nehmen Sie das Ruder in die Hand.
Zögern und zaudern Sie nicht, wägen Sie nicht ab – gehen Sie einfach los.
Ich treffe am Anfang nur die Entscheidung, dass ich etwas ändern will
und habe oft nur ein einziges Wort für mein Ziel, dann gehe ich los.
Meine Erfahrung ist, dass sich dieses Wort ganz bald mit Leben füllt,
denn es kommen immer zur richtigen Zeit
- zündende Ideen
- unterstützende Menschen
- wichtige Informationen
- und die richtigen Räume
Der Weg ebnet sich beim Gehen.
Sie erinnern sich sicher, im letzten Jahr kamen viele Flüchtlinge in unser Land.
Ich sah diese grauenvollen Bilder und Nachrichten im Fernsehen, von zerstörten Städten, verletzten und zerfetzten Menschen und Toten, von Krieg und Gewalt.
Ich sah Menschen, die sich mit ein paar Habseligkeiten auf den langen steinigen Weg gemacht hatten, auf der Suche nach Sicherheit und Frieden.
Ich beobachte damals wie heute mit Erschrecken und Fassungslosigkeit,
wie negativ, hart und gleichgültig viele Mitmenschen sind.
Ich beobachte, dass viele Menschen ihr Herz verschließen und tun,
als ginge sie das alles nichts an.
Ich kann und will das so nicht für mich.
Ich kann und will Nachrichten nicht nur konsumieren und gleich danach so tun,
als wäre nichts gewesen.
Schon lange habe ich eine Entscheidung getroffen:
Wenn ich Nachrichten schaue, dann will ich mich berühren lassen.
Und ich will mich nicht nur berühren lassen, sondern auch Fragen stellen.
Ich möchte keinem Lebewesen wissentlich Leid zufügen, wie kann das gehen?
Das ist ein Mammutprojekt – glauben Sie mir, Verlockungen gibt es an jeder Ecke.
Was kann ich tun, um mein Herz zu öffnen und diese Welt ein Stückchen besser zu machen? Welche Entscheidung ist zu treffen?
Ich möchte Sie einladen
Öffnen Sie ihr Herz, lassen Sie sich berühren und treffen Sie gute Entscheidungen.
Wir alle können uns in jedem Moment unseres Lebens entscheiden.
Wir können uns entscheiden,
ob wir uns verunsichern lassen wollen und damit andere verunsichern und ängstigen.
Oder ob wir uns inspirieren lassen, aus der Liebe heraus handeln und Kraft geben.
Wir können uns entscheiden, ob wir durch unsere Worte und Taten Gewalt unterstützen oder Frieden und Lösungen in die Welt bringen.
Das ist nicht immer einfach, auch für mich nicht, aber es ist möglich
und es ist nötig, für Sie, für mich und für die Welt.
Als die ganzen Menschen aus Syrien, Afghanistan und sonst woher kamen,
stellte ich mir die Frage: Was kann ich tun? Welche Lösungen braucht es?
Ganz schnell hatte ich Kontakt zu Helfern im Flüchtlingscamp in Wilhelmsburg. Dort engagierte ich mich mit Freunden und meinem Mann in der Kleiderkammer und merkte bald: Ich kann mehr als Kleidung sortieren– ich wusste damals nur noch nicht genau, wie viel mehr das sein würde.
Dann mein erster Besuch im Flüchtlings-Camp Max Bahr.
Für mich stand sofort fest, ich möchte vor allem den Frauen eine Insel außerhalb des Camps bieten, auf der sie sich für ein paar Stunden sicher und aufgehoben fühlen. Auf der sie Beständigkeit und Freude erfahren und die Möglichkeit haben,
deutsch zu lernen.
Ich war ganz begeistert von der Idee und sehr dankbar,
dass ich die ersten Kurse mit meiner klugen Freundin Connie anbieten konnte.
Ich habe Räume organisiert und Kontakte zum Flüchtlingscamp aufgebaut,
um unser Angebot vorzustellen.
Und dann unsere erste Stunde: erwartungsvoll standen wir zur vereinbarten Zeit im ersten Stock, am Fenster unseres Klassenraumes und schauten auf die Straße.
Eine Viertelstunde später standen und warteten wir immer noch …
Unten gingen Menschen vorbei …
Sag mal Connie, wie sehen Flüchtlinge überhaupt aus? sagte ich.
Ratlos schauten wir uns an.
Nach einer halben Stunde des Wartens meinte ich:
Du ich geh mal in die Straße, vielleicht finden sie den Weg nicht zu uns.
Dann bald per Handy die Nachricht von einer Mitarbeiterin aus dem Camp:
Die Frauen hatten sich in Bergedorf verlaufen.
Ich wollte sie finden und habe sie gleich erkannt. Etwa 15 bekopftuchte Frauen mit ungefähr ebenso vielen Kindern, ein damals sehr ungewöhnliches Bild.
Ich ging auf Sie zu und sprach sie auf Englisch an und wie schön, ich konnte mich mit einer Frau verständigen.
Wir gingen in die Klassenräume und machten im Gewusel von stillenden Müttern und spielenden Kindern äußerst kreativen Unterricht. Seitdem liebe ich Körpersprache – sie ist so ein wunderbares Verständigungsmittel, wenn Worte nicht weiterhelfen.
Schnell merkte ich, dass ich mehrmals in der Woche Unterricht anbieten wollte.
Vom Bezirksamt bekam ich die Zusage bei der Suche nach weiteren Räumen behilflich zu sein. Übrigens – ich habe bis heute trotz Nachfragen keine Antwort bekommen. Am Anfang hat mich das frustriert, aber auch motiviert mein Ruder in die Hand zu nehmen und selber nach anderen Räumen zu suchen.
Ich möchte Sie ermutigen
Wenn Sie von irgendjemandem eine Zusage für irgendetwas bekommen
und trotz zweimaliger Nachfrage nichts passiert. Verschwenden Sie nicht Ihre Ressourcen. Es lohnt sich nicht sich zu ärgern – lassen Sie los, nutzen Sie lieber diese kraftvolle Energie des Ärgers und nehmen Sie ihr Ruder in die Hand.
Ich lernte auf diese Weise Pastorin Redhead kennen und bekam über sie in der Nähe des Camps einen Raum, in dem wir an zwei Tagen unterrichten konnten.
Zwei Monate später waren wir mit fast 50 Helferinnen bereits an drei Standorten vertreten. Wir haben Unterrichtsmaterial entworfen und den Bedürfnissen immer wieder angepasst. Sicher können Sie nachvollziehen, dass dies eine große Herausforderung war. Doch die Frauen und Kinder sind hochmotiviert,
die meisten wollen wirklich lernen und das macht große Freude.
Wissen Sie: Erst als ich diese Rede schrieb, wurde mir so richtig bewusst,
was wir alles auf die Beine gestellt haben, welche Kraft da am Werke war.
Bis heute haben über 100 tolle Helferinnen in vier Teams
etwa 150 Frauen und Kindern die Möglichkeit gegeben Deutsch zu lernen und
geben ihnen damit mehr Sicherheit und Unabhängigkeit.
Ich durfte viel lernen in den letzten 18 Monaten und bin sehr dankbar dafür.
Ich weiß einmal mehr, wie dankbar ich sein kann für meinen Mann, meine Freunde und mein nicht immer einfaches, aber doch recht sicheres Leben.
Und was ganz wichtig ist: Ich habe mir angewöhnt, Fragen zu stellen.
- Statt zu sagen. Es geht nicht! frage ich mich oder andere: Wie kann es gehen?
- Statt zu sagen: Ich weiß nicht! frage ich mich: Wer kann mir helfen?
- Statt zu fragen: Können Sie mir helfen? frage ich: Wie können Sie mir helfen?
Ich möchte Sie ermutigen:
Stellen Sie die richtigen Fragen und nehmen Sie das Ruder in die Hand.
Sorgen Sie gut für sich und andere – die Welt braucht Sie.
Es ist egal, ob Sie die alte alleinstehende Nachbarin zum Kaffee einladen oder eine Patenschaft für einen Flüchtling übernehmen. Treffen Sie eine Entscheidung und nehmen Sie das Ruder in die Hand.
Und zu guter Letzt:
Wenn Sie mal das Gefühl haben, Sie stecken in einer der vielen Sackgassen,
die das Leben für unser Wachstum bereithält, dann rufen Sie Gott oder die Schöpferkraft an. Ich versichere Ihnen, diese Leitung funktioniert besser als jede Leitung von der Telekom. Gehen Sie einfach in sich und in die Stille und sagen Sie:
Ich weiß grad nicht weiter – wie kannst du mir helfen?
Bitte, nimm jetzt Du das Ruder in die Hand – ich danke Dir.
Ich bin sicher – dann öffnet sich auch Ihnen ein Feld der Möglichkeiten.“
Vielen Dank, dass Sie bis hierher gelesen haben.
Und jetzt: Nehmen Sie ihr Ruder in die Hand!