Liebe Leserinnen und Leser,
zurzeit gebe ich viele Knigge-Workshops für Kinder und Jugendliche.
Hierbei ergibt sich so manche Frage im Umgang mit Erwachsenen.
Eine Frage möchte ich heute aufnehmen.
In einem der Kurse erzählte ein Mädchen:
Bei uns im Dorf ist es üblich sich zu grüßen.
Ich grüße jeden, aber es gibt eine Nachbarin, die grüßt nie zurück…
Wir haben uns in der Familie schon oft darüber unterhalten, wie ich mich verhalten soll … Mein Vater sagt, ich soll trotzdem grüßen, weil es sich so gehört.
Wie ist es denn richtig?
Sicher können Sie sich vorstellen, dass dieses Mädchen frustriert darüber ist, dass ihr Gruß nicht erwidert wird. Dafür habe ich zunächst Verständnis gezeigt und abgefragt, ob es mögliche Gründe gibt,warum die Frau nicht zurückgrüßt. Es könnte ja sein, dass sie schwerhörig ist, aber anscheinend gibt es keinen Grund.
Und wie ist es denn nun richtig?
Die aktuellen Regeln besagen
Es grüßt jene Person -egal ob erwachsen oder nicht- die die andere Person zuerst wahrnimmt.
Daraus ergibt sich in diesem Beispiel:
Sieht die Frau das Mädchen zuerst, dann grüßt die Frau das Mädchen, anschließend grüßt das Mädchen zurück.
Sieht das Mädchen die Frau zuerst, dann grüßt das Mädchen die Frau zuerst und die Frau grüßt zurück.
Das wäre höflich!
Doch nun gibt es noch die Frage: Weitergrüßen oder nicht…
Wie würden Sie entscheiden?
Herzliche Grüße
Astrid Fiedler
Sehr geehrte Frau Fiedler,
gerade gestern hatten wir das Thema Begrüßung zwischen Erwachsenen und Kinder. Es herrschte Unstimmigkeiten darüber, wer wen zu grüßen hat. Meine Mutter erzählte mir folgende Situation, die ihrer Nachbarin widerfahren ist.
Die Nachbarin war zu einer Familienfeier eingeladen. Die Familienfeier hatte bereits begonnen. Die Nachbarin kam etwas später dazu. Wie und wen sie als erstes begrüßte ob mit oder ohne Handschlag, ist mir aus dieser Erzählung leider nicht bekannt. Bekannt ist mir nur, dass sie sich später bei meiner Mutter darüber ausließ, dass ihre Patenkinder, die wohl abseits vom Familientisch saßen, nicht sofort aufgesprungen sind, um sie zu begrüßen.
Ich bin ja der Meinung, dass derjenige, der als letzter die Familienfeier betritt, alle Familienmitglieder zu begrüßen hat, dazu gehören auch die Kinder, die darauf warten können, bis der letzte Gast zu ihnen kommt, um sie zu begrüßen und gegebenenfalls die Hand gibt.
Die Nachbarin meiner Mutter beschwerte sich darüber, dass das Verhalten der Kinder respektlos ihr gegenüber als Patentante bzw. als erwachsene Frau ist. Gibt es denn eine Situation im Leben einer Familie, die eine sofortige Reaktion der Kinder hätte folgen lassen müssen, sobald eine erwachsene Person, die zuletzt den Raum betritt, zu begrüßen. Gibt es ggf. beim Alter der Kinder etwas zu beachten bzw. gibt es Unterschiede? Wie war das früher (in den späten 60ern)? Wenn ich aber meine Mutter frage, warum sollen denn die Kinder die Hand geben, dann kommt die Antwort weil es ebenso ist und weil es früher immer so war. Ich habe aber gelesen , das Kinder nicht die Hand geben müssen , wenn ihnen nicht, die Hand entgegengestreckt wird? Was ist nun richtig?
Ich glaube hier dahinter steckt nur falsche Eitelkeit. Die Nachbarin bzw die Patentante war darüber unglücklich, dass sie nicht, so euphorisch empfangen wurde.
Gibt es gegebenenfalls Bücher zu diesem Thema?
Vielen Grüße
Janine
Liebe Janine,
herzlichen Dank für Ihre Fragen.
Ich möchte gleich mit den alten Regeln beginnen.
Früher galt die Regel, dass Kinder die Erwachsenen zuerst grüßen, dies galt als Zeichen des Respekts.
In den 60ern galt außerdem, dass Kinder gehorsam zu sein haben.
Gehorsamkeit aus den 60ern hat allerdings in unserem Jahrtausend aus meiner Sicht keinen Platz mehr.
Kinder sollen mutig hinterfragen und nicht einfach alles hinnehmen, was Erwachsene ihnen erzählen.
In der beschriebenen Situation könnte man von den Patenkindern erwarten, dass sie zu ihrer Patentante gehen, um sie zu grüßen.
Ist sie doch der Mensch, der den Kindern in allen Lagen zur Seite stehen sollte und viel gibt.
Zwischen 6 und 8 Jahren sind Kinder in der Lage, dies zu lernen und begreifen.
Wenn man seinen Kindern sehr gute Umgangsformen beibringen möchte, sollte man folglich nicht nur die Regeln erklären, sondern auch erklären, was wertschätzendes, respektvolles und höfliches Verhalten ist.
Jedoch haben gute Umgangsformen viele Facetten – auch in dieser Situation.
1. Wir wissen nicht, wie die Beziehung zwischen den Kindern und der Patentante ist.
2. Wir wissen auch nicht, ob die Kinder überhaupt wahrgenommen haben, dass die Patentante den Raum betreten hat. Es waren ja immerhin viele Menschen im Raum, die Kinder saßen abseits, waren vielleicht mit anderen Dingen beschäftigt…
3. Wir wissen nicht, ob die Tante mit anderen Menschen im Gespräch war und wie räumliche Situation war, vielleicht haben die Kinder nur darauf gewartet, dass sie fertig wird …
Ganz allgemein gilt heute als höflich, wenn die Person, die eine andere Person zuerst sieht, zu ihr geht und sie grüßt.
Wenn eine Person einen Raum betritt, so wie von Ihnen beschrieben, dann grüßt sie die Menschen der Reihe nach.
Sie haben ganz richtig geschrieben: „dass derjenige, der als letzter die Familienfeier betritt, alle Familienmitglieder zu begrüßen hat, dazu gehören auch die Kinder, die darauf warten können, bis der letzte Gast zu ihnen kommt, um sie zu begrüßen und gegebenenfalls die Hand gibt.“
In Büchern wird in der Regel alles beschrieben, was sich einfach und logisch ableiten lässt.
Das Leben besteht aber aus zahlreichen Pattsituationen, in denen man immer wieder neu entscheiden darf.
Darum habe ich diesen Blog entwickelt.
Auch hier finden sie immer wieder aktuelle Regeln: https://knigge-rat.de/blog/
Ich hoffe, meine Antwort war hilfreich für Sie.
Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund.
Ihre Astrid Fiedler